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HOAI-MIN­DEST­SÄT­ZE ZWI­SCHEN PRI­VA­TEN VER­BIND­LICH? BGH RUFT EUGH AN!

Allgemein Bau- und Immobilienrecht Recht

(14.05.2020) Der Bun­des­ge­richts­hof hat ein Ver­fah­ren über die Ver­gü­tung eines Inge­nieurs aus­ge­setzt und dem Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) meh­re­re Fra­gen zu den Fol­gen der vom EuGH in sei­nem Urteil vom 04.07.2019 (IBR 2019, 436) ange­nom­me­nen Uni­ons­rechts­wid­rig­keit der Min­dest­sät­ze in der HOAI für lau­fen­de Gerichts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen vorgelegt.

Der EuGH hat­te in die­sem Urteil in einem von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on betrie­be­nen Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ent­schie­den, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land dadurch gegen ihre Ver­pflich­tun­gen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­sta­be g) und Abs. 3 der Richt­li­nie 2006/123/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 12. Dezem­ber 2006 über Dienst­leis­tun­gen im Bin­nen­markt (Dienst­leis­tungs­richt­li­nie) ver­sto­ßen hat, dass sie ver­bind­li­che Hono­ra­re für die Pla­nungs­leis­tun­gen von Archi­tek­ten und Inge­nieu­ren bei­be­hal­ten hat.

Sach­ver­halt:
Der Klä­ger, der ein Inge­nieur­bü­ro betreibt, ver­langt von der Beklag­ten die Zah­lung rest­li­cher Ver­gü­tung auf­grund eines im Jah­re 2016 abge­schlos­se­nen Inge­nieur­ver­tra­ges, in dem die Par­tei­en für die vom Klä­ger zu erbrin­gen­den Inge­nieur­leis­tun­gen bei einem Bau­vor­ha­ben der Beklag­ten ein Pau­schal­ho­no­rar in Höhe von 55.025 Euro ver­ein­bart hatten.

Nach­dem der Klä­ger den Inge­nieur­ver­trag gekün­digt hat­te, rech­ne­te er im Juli 2017 sei­ne erbrach­ten Leis­tun­gen in einer Hono­rar­schluss­rech­nung auf Grund­la­ge der Min­dest­sät­ze der Ver­ord­nung über die Hono­ra­re für Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen (HOAI) in der Fas­sung aus dem Jahr 2013 ab. Mit der Kla­ge hat er eine noch offe­ne Rest­for­de­rung in Höhe von 102.934,59 Euro brut­to gel­tend gemacht.

Bis­he­ri­ger Prozessverlauf:
Das Land­ge­richt hat die Beklag­te zur Zah­lung von 100.108,34 Euro ver­ur­teilt. Auf die Beru­fung der Beklag­ten hat das Ober­lan­des­ge­richt die Beklag­te zur Zah­lung von 96.768,03 Euro ver­ur­teilt. Mit der vom Ober­lan­des­ge­richt zuge­las­se­nen Revi­si­on ver­folgt die Beklag­te ihren Antrag auf voll­stän­di­ge Kla­ge­ab­wei­sung weiter.

Das Ober­lan­des­ge­richt hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dem Klä­ger ste­he ein rest­li­cher ver­trag­li­cher Zah­lungs­an­spruch nach den Min­dest­sät­zen der HOAI (2013) zu. Die im Inge­nieur­ver­trag getrof­fe­ne Pau­schal­preis­ver­ein­ba­rung sei wegen Ver­sto­ßes gegen den Min­dest­preis­cha­rak­ter der HOAI als zwin­gen­des Preis­recht unwirk­sam. Das in einem Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ergan­ge­ne Urteil des EuGH ände­re nichts an der Anwend­bar­keit der maß­geb­li­chen Bestim­mun­gen der HOAI zum Min­dest­preis­cha­rak­ter. Das Urteil bin­de nur den Mit­glied­staat, der den euro­pa­rechts­wid­ri­gen Zustand besei­ti­gen müs­se, ent­fal­te hin­ge­gen für den ein­zel­nen Uni­ons­bür­ger kei­ne Rechts­wir­kung. Eine Nicht­an­wen­dung der Min­dest­sät­ze der HOAI in einem Rechts­streit zwi­schen Pri­vat­per­so­nen kön­ne auch nicht auf die Dienst­leis­tungs­richt­li­nie gestützt wer­den, der kei­ne unmit­tel­ba­re Wir­kung zu Las­ten ein­zel­ner Uni­ons­bür­ger zukom­me. Es bestehe kein Anwen­dungs­vor­rang der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie gegen­über den uni­ons­rechts­wid­ri­gen Rege­lun­gen der HOAI. Eine richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung des zwin­gen­den Preis­rechts gemäß § 7 HOAI sei ausgeschlossen.

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs:
Der unter ande­rem für Rechts­strei­tig­kei­ten über Archi­tek­ten- und Inge­nieur­ver­trä­ge zustän­di­ge VII. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem EuGH in einem Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV fol­gen­de Fra­gen vorgelegt:

Folgt aus dem Uni­ons­recht, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­sta­be g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie im Rah­men eines lau­fen­den Gerichts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen in der Wei­se unmit­tel­ba­re Wir­kung ent­fal­tet, dass die die­ser Richt­li­nie ent­ge­gen­ste­hen­den natio­na­len Rege­lun­gen in § 7 HOAI, wonach die in die­ser Hono­rar­ord­nung sta­tu­ier­ten Min­dest­sät­ze für Pla­nungs- und Über­wa­chungs­leis­tun­gen der Archi­tek­ten und Inge­nieu­re — abge­se­hen von bestimm­ten Aus­nah­me­fäl­len — ver­bind­lich sind und eine die Min­dest­sät­ze unter­schrei­ten­de Hono­rar­ver­ein­ba­rung in Ver­trä­gen mit Archi­tek­ten oder Inge­nieu­ren unwirk­sam ist, nicht mehr anzu­wen­den sind?

Sofern Fra­ge 1 ver­neint wird:
Liegt in der Rege­lung ver­bind­li­cher Min­dest­sät­ze für Pla­nungs- und Über­wa­chungs­leis­tun­gen von Archi­tek­ten und Inge­nieu­ren in § 7 HOAI durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein Ver­stoß gegen die Nie­der­las­sungs­frei­heit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sons­ti­ge all­ge­mei­ne Grund­sät­ze des Unionsrechts?

Sofern Fra­ge 2 a) bejaht wird:
Folgt aus einem sol­chen Ver­stoß, dass in einem lau­fen­den Gerichts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen die natio­na­len Rege­lun­gen über ver­bind­li­che Min­dest­sät­ze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr anzu­wen­den sind?

Bei Anwen­dung der deut­schen Rege­lun­gen in § 7 HOAI hät­te die Revi­si­on der Beklag­ten kei­nen Erfolg, weil die Pau­schal­ho­no­rar­ver­ein­ba­rung der Par­tei­en unwirk­sam wäre und dem Klä­ger auf Grund­la­ge der Min­dest­sät­ze der HOAI ein Anspruch auf Zah­lung von 96.768,03 Euro zustünde.

§ 7 HOAI kann nicht unter Berück­sich­ti­gung des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 (C‑377/17) richt­li­ni­en­kon­form dahin aus­ge­legt wer­den, dass die Min­dest­sät­ze der HOAI im Ver­hält­nis zwi­schen Pri­vat­per­so­nen grund­sätz­lich nicht mehr ver­bind­lich sind und daher einer die Min­dest­sät­ze unter­schrei­ten­den Hono­rar­ver­ein­ba­rung nicht ent­ge­gen­ste­hen. Die Aus­le­gung des natio­na­len Rechts darf nicht dazu füh­ren, dass einer nach Wort­laut und Sinn ein­deu­ti­gen Norm ein ent­ge­gen­ge­setz­ter Sinn gege­ben oder der nor­ma­ti­ve Gehalt der Norm grund­le­gend neu bestimmt wird. Dem­ge­mäß kommt eine richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung nur in Fra­ge, wenn eine Norm tat­säch­lich unter­schied­li­che Aus­le­gungs­mög­lich­kei­ten im Rah­men des­sen zulässt, was der gesetz­ge­be­ri­schen Zweck- und Ziel­set­zung ent­spricht. Der Gesetz- und Ver­ord­nungs­ge­ber hat mit den Rege­lun­gen in § 7 HOAI und der die­ser Bestim­mung zu Grun­de lie­gen­den Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge ein­deu­tig zum Aus­druck gebracht, dass eine unter­halb der ver­bind­li­chen Min­dest­sät­ze lie­gen­de Hono­rar­ver­ein­ba­rung für Archi­tek­ten und Inge­nieur­grund­leis­tun­gen — von bestimm­ten Aus­nah­men abge­se­hen — unwirk­sam ist und sich die Höhe des Hono­rars in die­sem Fall nach den Min­dest­sät­zen bestimmt.

Die Ent­schei­dung über die Revi­si­on hängt maß­geb­lich von der Beant­wor­tung der dem EuGH vor­ge­leg­ten ers­ten Fra­ge zur unmit­tel­ba­ren Wir­kung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­sta­be g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie im Rah­men eines lau­fen­den Gerichts­ver­fah­rens zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ab. Ange­sichts zahl­rei­cher gegen­läu­fi­ger ober­ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen sowie Mei­nungs­äu­ße­run­gen im Schrift­tum, die ihre inhalt­lich kon­trä­ren Stand­punk­te jeweils aus der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des EuGH ablei­ten, ist die rich­ti­ge Anwen­dung des Uni­ons­rechts nicht von vorn­her­ein der­art ein­deu­tig (“acte clai­re”) oder durch Recht­spre­chung in einer Wei­se geklärt (“acte éclai­ré”), dass kein ver­nünf­ti­ger Zwei­fel verbleibt.

Der Bun­des­ge­richts­hof neigt dazu, kei­ne unmit­tel­ba­re Wir­kung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buch­sta­be g) und Abs. 3 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie in der Wei­se anzu­neh­men, dass die die­ser Richt­li­nie ent­ge­gen­ste­hen­den natio­na­len Rege­lun­gen in § 7 HOAI in lau­fen­den Gerichts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen nicht mehr ange­wen­det wer­den kön­nen. Zwar ist Art. 15 der Dienst­leis­tungs­richt­li­nie auch auf rein inner­staat­li­che Sach­ver­hal­te — wie im Streit­fall — anwend­bar. Zudem ist in der Recht­spre­chung des EuGH aner­kannt, dass sich der Ein­zel­ne gegen­über dem Mit­glied­staat in bestimm­ten Fäl­len unmit­tel­bar auf eine Richt­li­nie beru­fen kann, wenn die­se nicht frist­ge­mäß oder nur unzu­läng­lich in das natio­na­le Recht umge­setzt wur­de und die Richt­li­ni­en­be­stim­mung inhalt­lich als unbe­dingt und hin­rei­chend genau erscheint. Aller­dings kann eine Richt­li­nie grund­sätz­lich nicht selbst Ver­pflich­tun­gen für einen Ein­zel­nen begrün­den, so dass ihm gegen­über eine Beru­fung auf die Richt­li­nie als sol­che nicht mög­lich ist. Eine Richt­li­nie kann dem­ge­mäß grund­sätz­lich auch nicht in einem Rechts­streit zwi­schen Pri­va­ten ange­führt wer­den, um die Anwen­dung der Rege­lung eines Mit­glied­staats, die gegen die Richt­li­nie ver­stößt, auszuschließen.

Soweit der EuGH in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung in bestimm­ten Aus­nah­me­fäl­len — bei Unmög­lich­keit einer richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung — eine Nicht­an­wen­dung uni­ons­rechts­wid­ri­ger natio­na­ler Vor­schrif­ten zwi­schen Pri­vat­per­so­nen bejaht hat, wird der Streit­fall nach Auf­fas­sung des Bun­des­ge­richts­hofs hier­von nicht erfasst.

Für den Fall, dass die ers­te Vor­la­ge­fra­ge ver­neint wird, hängt die Ent­schei­dung des Rechts­streits von der Beant­wor­tung der wei­te­ren Vor­la­ge­fra­gen zu einem mög­li­chen Ver­stoß der in der HOAI fest­ge­leg­ten Min­dest­sät­ze gegen die Nie­der­las­sungs­frei­heit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sons­ti­ge all­ge­mei­ne Grund­sät­ze des Uni­ons­rechts sowie den Fol­gen eines sol­chen Ver­sto­ßes für ein lau­fen­des Gerichts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ab. Ein Ver­stoß gegen die Nie­der­las­sungs­frei­heit kann nach Ein­schät­zung des Bun­des­ge­richts­hofs nicht aus­ge­schlos­sen wer­den. Der EuGH hat die­se Fra­ge in sei­nem Urteil vom 04.07.2019 (C‑377/17, IBR 2019, 436) aus­drück­lich offengelassen.

BGH, Beschluss vom 14.05.2020 — VII ZR 174/19

In dem wei­te­ren ver­han­del­ten Rechts­streit, in dem die dor­ti­ge Klä­ge­rin gegen die in die­sem Ver­fah­ren Beklag­ten Hono­rar­nach­for­de­run­gen aus meh­re­ren in den Jah­ren 2010 bis 2012 geschlos­se­nen Ver­trä­gen über die Erbrin­gung von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen im Zusam­men­hang mit der Kon­zep­ti­on und Errich­tung einer Bio­gas­an­la­ge gel­tend gemacht hat (vgl. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 10/2020 vom 22. Janu­ar 2020), hat der Bun­des­ge­richts­hof die kla­ge­ab­wei­sen­den Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen bestä­tigt und die Revi­si­on der Klä­ge­rin zurück­ge­wie­sen. In die­sem Ver­fah­ren kam es auf die zwi­schen den Par­tei­en auch hier im Streit ste­hen­den Rechts­fra­gen zu den Fol­gen der vom EuGH in sei­nem Urteil vom 4. Juli 2019 (C‑377/17) ange­nom­me­nen Uni­ons­rechts­wid­rig­keit der Min­dest­sät­ze in der HOAI für lau­fen­de Gerichts­ver­fah­ren zwi­schen Pri­vat­per­so­nen nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich an. Viel­mehr war das Beru­fungs­ur­teil des Ober­lan­des­ge­richts bereits auf Grund­la­ge der die­se Ent­schei­dung selb­stän­dig tra­gen­den Erwä­gung, wonach eine Unwirk­sam­keit der Pau­schal­ho­no­rar­ver­ein­ba­run­gen wegen Min­dest­satz­un­ter­schrei­tung gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009) auf­grund des inso­weit nicht schlüs­si­gen Vor­trags der Klä­ge­rin nicht fest­ge­stellt wer­den konn­te, jeden­falls im Ergeb­nis zutreffend.

Urteil vom 14.05.2020 — VII ZR 205/19

Quel­le: BGH