Einordnung:
Die Kooperationsformen „Praxisgemeinschaft“ und „Gemeinschaftspraxis“ (Berufsausübungsgemeinschaft) sind nach der Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) streng voneinander zu unterscheiden. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat in einem aktuellen Urteil die rechtlichen Konsequenzen eines Missbrauchs dieser Formen erneut klargestellt – mit gravierenden finanziellen Folgen für die betroffenen Ärzte.
Der Sachverhalt:
Zwei Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie führten ihre Kooperation als angebliche Praxisgemeinschaft. Bei einer Überprüfung durch die Prüfstelle der Krankenkassen zeigte sich jedoch ein Bild, das klar auf eine tatsächlich gelebte Gemeinschaftspraxis hindeutete:
- Patientenüberschneidungen bis zu 50 %, später immerhin noch rund 25 %.
- Regelmäßige Blankoüberweisungen zwischen den Ärzten, teils ohne jegliche Befundangaben.
- Doppelte Einlesung von Versichertenkarten am selben Tag.
- Regelmäßige kollegiale Vertretungen “auf Zuruf”.
Die Prüfstelle und später die Gerichte stuften dies als Missbrauch der Kooperationsform ein. Die Folge: Die Rückforderung von Honoraren im Umfang von etwa 70.000 Euro – zurecht, wie das LSG entschied.
Rechtliche Bewertung:
Das LSG bestätigte die Rückforderung mit klaren Worten. Eine Praxisgemeinschaft erlaubt lediglich die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur und Personal. Eine gemeinsame Patientenbehandlung, ‑kartei und ‑abrechnung ist ausgeschlossen – und wäre nur im Rahmen einer zugelassenen Gemeinschaftspraxis zulässig. Maßgeblich sei nicht der formale Titel, sondern die tatsächliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit.
Indizien für eine Gemeinschaftspraxis sind insbesondere:
- Gemeinsame Patientenstämme,
- Überweisungen ohne genaue Behandlungsangaben (Blanko),
- Gemeinsame Nutzung von Patientendaten und Abrechnungen,
- Vertretungen ohne Vertretungsscheine oder Dokumentation,
- Paralleles Einlesen von Versichertenkarten.
Selbst nachvollziehbare individuelle Gründe – wie Spezialisierungen oder familiäre Belastungen – rechtfertigen keine faktische Vermischung der Organisationsformen, wenn dies nicht auch formell genehmigt wurde.
Folgen für die Praxis:
Dieses Urteil ist ein deutliches Signal an alle Vertragsärzte: Wer eine Praxisgemeinschaft führt, muss klare organisatorische und medizinische Trennlinien ziehen – sowohl im Innenverhältnis als auch gegenüber Patienten, Kassen und Prüfstellen.
Ärztliche Kooperationsformen müssen transparent, nachvollziehbar und formal korrekt gelebt werden. Bei unklarer Abgrenzung drohen nicht nur Rückforderungen in erheblicher Höhe, sondern auch berufsrechtliche Konsequenzen.
Praxistipp:
- Lassen Sie die gewählte Kooperationsform regelmäßig juristisch prüfen – insbesondere bei personellen Veränderungen oder Spezialkooperationen.
- Dokumentieren Sie Überweisungen vollständig, insbesondere bei fachgleichen Kooperationen.
- Trennen Sie Patientendaten, Karteien und Abrechnungssysteme streng.
- Reagieren Sie auf Prüfanfragen frühzeitig und kooperativ – eine gute Dokumentation ist die beste Verteidigung.
Fazit:
Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg mahnt zur sorgfältigen Gestaltung und gelebten Trennung ärztlicher Kooperationsformen. Was auf dem Praxisschild steht, muss sich auch im Alltag widerspiegeln. Wer die Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ wählt, darf nicht im Alltag wie eine Gemeinschaftspraxis handeln – sonst drohen empfindliche Rückforderungen und Reputationsschäden.
Bei Fragen zur rechtssicheren Gestaltung ärztlicher Kooperationen empfiehlt sich eine frühzeitige Beratung durch auf das Vertragsarztrecht spezialisierte Juristen.
Quelle: LSG Berlin-Brandenburg vom 18.09.2024 – L 7 KA 5/23
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